Was ist Persönlichkeit?

Wir wissen, dass jeder Mensch eine Persönlichkeit hat und einzigartig ist. Doch was verstehen wir eigentlich unter Persönlichkeit? Diese Frage stellt sich auch die Psychologie in der Disziplin Differenzielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Im Rahmen dieser gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, Persönlichkeit zu definieren und zu erfassen. Dieser Artikel ist der Versuch, einen Überblick über die verschiedenen Ansätze zu geben.

Historische Erfassungsversuche

Das Wort Persönlichkeit ist vom lateinischen Wort persona abgeleitet und bedeutet Maske. Hieraus lässt sich schließen, dass die Persönlichkeit dem nach außen sichbaren Bild eines Menschen entspricht, also aus den Eigenschaften, die von anderen wahrgenommen werden (sollen).

Bereits im vierten Jahrhundert vor Christus begründete Aristoteles bzw. einer seiner Schüler die Physiognomik. Hier wurde versucht, aus dem Gesichtsschnitt eines Menschen Aussagen über dessen Persönlichkeit abzuleiten. Dieser Ansatz erlangte noch einmal eine große, allerdings nur sehr kurzfristige Popularität im 18. Jahrhundert, bevor er wegen seiner hohen Subjektivität und seiner hohen Anfälligkeit gegenüber Vorurteilen aus dem Fokus verschwand.

Im späten 18. Jahrhundert entwickelte der deutsche Arzt Franz Josef Gall die Phrenologie. Die Annahme war, dass man aus dem Bau des Schädels auf die charakterlichen Eigenschaften eines Individuums schließen kann. Dieser Annahme liegt die Vermutung zu Grunde, dass eine besonders stark ausgeprägte Eigenschaft einer Person von einer besonderen Größe des entsprechenden Hirnareals begleitet werden müsste. Als Folge dieser Vermutung wurde erwartet, dass man diese besondere Größe an Hand von Ausbuchtungen oder Vorwölbungen der Schädeldecke feststellen kann. Die phrenologische Vermessung der Schädeldecke sollte Rückschlüsse auf individuelle Ausprägungen von Persönlichkeitsmerkmalen erlauben. Dieser Ansatz blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein populär.

Im 19. Jahrhundert erfand der französische Priester, Gelehrte und Schriftsteller Jean Hippolyte Michon die Grafologie. Deren Grundgedanke war, dass die Persönlichkeit und die Fähigkeiten eines Menschen zumindest teilweise auch durch seine Motorik zum Ausdruck kommen. Somit sollten die Schreibbewegungen einer Person als psychodiagnostisches Deutungsmittel verwendbar sein. Diese Technik wird teilweise heute noch zur Persönlichkeitsbeurteilung eingesetzt, zum Beispiel immer dann, wenn im Rahmen einer Bewerbung etwas Handschriftliches eingefordert wird.

Bedeutung von Persönlichkeit in den verschiedenen Persönlichkeitstheorien

Im Folgenden wird beschrieben, welche Bedeutung die Persönlichkeit in den verschiedenen Persönlichkeitstheorien der differenziellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie hat.

Psychoanalyse

Die Psychoanalyse begreift den Menschen als ein energetisches System, das aus dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb gespeist wird. Aus diesen Trieben entsteht eine psychische Energie, die vom psychischen Apparat eines Menschen verwaltet wird. Dieser psychische Apparat ist die Struktur der Persönlichkeit eines Menschen und besteht aus den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich.

Der Urspung der Triebe befindet sich im Es. Dieses strebt die sofortige Befriedigung der Triebe an, hat dabei aber keinen Kontakt zur Außenwelt, das heißt alle Prozesse im Es sind unbewusst. Freud nahm an, dass menschliches Verhalten hauptsächlich durch unbewusste Triebimpulse gesteuert ist.

Als Vollstrecker der Triebe dient das Ich. Dieses hat die Aufgabe, zwischen den Triebbedürfnissen des Es und der Außenwelt zu vermitteln. Dazu stehen ihm die sogenannten Ich-Funktionen, zum Beispiel Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Willkürmotorik, zur Verfügung. Diese Funktionen ermöglichen es dem Individuum, mit der Umwelt zu interagieren und sie zu beeinflussen.

Als moralische Instanz des psychischen Apparats dient das Über-Ich. Dieses repräsentiert traditionelle Werte und Ideale der Gesellschaft. Es versucht, inakzeptable Impulse aus dem Es zu hemmen und das Ich zu überreden, realistische durch ethische Ziele zu ersetzen und nach Vollkommenheit zu streben. Zu diesem Zweck kann das Über-Ich das Ich entweder belohnen oder bestrafen: Handelt das Ich nicht nach dem Über-Ich, so wird es mit Schuldgefühlen gestraft. Handelt es dagegen nach dem Über-Ich, so wird es mit Stolz belohnt.

Behaviorismus

Der Behaviorismus sieht die Psychologie als streng experimentell ausgerichtete Disziplin der Naturwissenschaften. Nach dieser Theorie ist beobachtbares Verhalten nur von physikalischen Umweltbedingungen abhängig, es gibt weder angeborene Instinkte noch biologisch determinierte Persönlichkeitseigenschaften. Persönlichkeitsmerkmale sind durch klassische und operante Konditionierung erworbene Verhaltensweisen. Die Summe dieser Verhaltensweisen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens, insbesondere in der frühen Kindheit, ausbildet, entspricht der Persönlichkeit des Menschen.

Soziale Lerntheorie

Die sozialen Lerntheorien betrachten die Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner bedeutsamen Umwelt. Um menschliches Verhalten verstehen zu können, muss man die individuelle Lerngeschichte und die Umweltreize, die die Person wahrnimmt und auf die sie reagiert, berücksichtigen. Die Persönlichkeit ist hier ein relativ stabiles Gefüge der individuellen Möglichkeiten, in einer bestimmten sozialen Situation zu reagieren. Da ständig neue Erfahrungen gemacht werden, ist die Persönlichkeit ständigen Veränderungen unterworfen. Allerdings werden diese neuen Erfahrungen aber von früheren Erfahrungen beeinflusst, wodurch die Persönlichkeit eine gewisse Stabilität erlangt.

Kognitive Persönlichkeitstheorien

In den kognitiven Persönlichkeitstheorien werden die interindividuellen Unterschiede in der Art und Weise, wie eine Person sich selbst, ihre Erfahrungen und ihre Umwelt bewertet, sowie die Folgen daraus für ihr Verhalten, betont. Grundlage für diese Bewertungen sind sogenannte Konstrukte. Ein Konstrukt ist ein Ordnungsprinzip, nach dem Erfahrungen im Hinblick auf die eigene Person und die soziale und materielle Umwelt unterschieden und mit Bedeutung versehen werden. Unterscheidungen auf Grundlage von Konstrukten müssen nicht verbalisiert sein und nicht bewusst erfolgen. Die Art und Weise, wie eine Person auf der Grundlage der Konstrukte künftige Ereignisse antizipiert, entscheidet, wie sie fühlt, denkt und handelt. Die Menge aller Konstrukte einer Person, also ihr Konstruktsystem, ist ihre spezifische Art und Weise, Erfahrungen zu strukturieren und ihnen Bedeutung zu verleihen. Dieses Konstruktsystem entspricht der Persönlichkeit.

Humanistische Persönlichkeitstheorie

Die humanistische Psychologie geht davon aus, dass jedes Individuum über ein Potential für positives Wachstum und physische wie auch psychische Gesundheit verfügt.

Ein wichtiger Begriff ist hier das Erfahrungsfeld eines Individuums. Dieses beschreibt die Art und Weise, wie ein Individuum seine Umwelt wahrnimmt und erlebt. Dazu zählen sowohl bewusste Erfahrungen, die durch Reize aus der Außenwelt entstehen als auch Erfahrungen, die auf Prozesse innerhalb des Körpers zurückgeführt werden können (erlebte Zustände oder momentane Befindlichkeiten). Unbewusste physiologische Prozesse wie bspw. Stoffwechselvorgänge gehören hingegen nicht dazu. Das Erfahrungsfeld ist das subjektive innere Bezugssystem einer Person und laut Rogers der bestmögliche Ausgangspunkt zum Verständnis eines jeden Individuums.

Der Anteil des Erfahrungsfeldes eines Individuums, der die eigene Person betreffend erlebt wird, wird als das Selbst bezeichnet. Das Selbst ist ein überdauerndes Muster von Wahrnehmungen, das durch eine interne Struktur charakterisiert ist. Das bedeutet nicht, dass das Selbst starr oder unveränderbar ist, viel mehr bleibt im Falle der Veränderung des Selbst eine organisierte Qualität erhalten. Das Selbst wird auch als Struktur der Persönlichkeit betrachtet.

Konstitutionspsychologische Ansätze

Die zentrale Annahme der konstitutionspsychologischen Ansätze ist, dass ein Zusammenhang zwischen dem Körperbau einer Person und deren Persönlichkeit besteht. Eine besondere Bedeutung hat die Frage nach einer gemeinsamen biologischen Grundlage von Körperbau und Persönlichkeit.

Die Persönlichkeit wird dadurch bestimmt, dass den Personen auf Basis ihres Körperbaus grundlegende Persönlichkeitstypen zugeordnet werden. Diese Persönlichkeitstypen umfassen psychische und physische Aspekte des Individuums. Es gibt jedoch keine allgemein akzeptierte Klassifikation von Persönlichkeitstypen.

Eigenschaftstheorien

Die Eigenschaftstheorien definieren sich dadurch, dass sich die Persönlichkeit dort durch die Ausprägung von Eigenschaften (Persönlichkeitsmerkmale) beschreiben lässt. Die verschiedenen Eigenschaftstheorien unterscheiden sich darin, welche und wie viele Eigenschaften für die umfassende Beschreibung und Erklärung der menschlichen Persönlichkeit als grundlegend erachtet werden.

Eine Eigenschaft ist eine Klasse von funktional äquivalenten Verhaltens- und Erlebensweisen (z.B. Ängstlichkeit), die über die Zeit und unterschiedliche Situationen hinweg relativ beständig ist. Verschiedene Eigenschaftstheorien haben verschiedene Annahmen über die Ursache dieser Stabilität und Konsistenz des Verhaltens (genetische Faktoren vs. Umweltfaktoren). Es gibt allerdings die allgemeine Annahme, dass jede Person im Hinblick auf jede Eigenschaft beschrieben werden kann. Die Schwäche dieser Theorie ist, dass menschliches Verhalten nicht auf die simple Art und Weise stabil und konsistent ist, wie es das theoretische Konzept der Eigenschaft impliziert.

Fazit

Was ist Persönlichkeit nun also? Diese Frage wird auch dieser Artikel leider nicht abschließend beantworten können. Wenn in der Umgangssprache von Persönlichkeit die Rede ist, ist dabei meist intuitiv der Ansatz der Eigenschaftstheorien gemeint. Meine persönlichen Favoriten unter den beschriebenen Ansätzen sind die der humanistischen Persönlichkeitstheorie sowie der kognitiven Persönlichkeitstheorien.

Ich hoffe, der Artikel konnte einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze der differenziellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie geben, Persönlichkeit zu definieren und zeigen, dass die Frage “Was ist Persönlichkeit?” nicht so einfach zu beantworten ist, wie man auf den ersten Blick vielleicht denken mag.

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