Seit vielen Jahren leide ich darunter, zu wenig Selbstvertrauen zu haben. Ich arbeite schon lange daran, daran etwas zu ändern, aber ich konnte nie einen durchgehenden Erfolg erzielen. Stattdessen habe ich gemerkt, dass mein Selbstvertrauen stark tagesformabhängig ist. Und minimale negative Einflüsse von außen, wie z.B. Kritik, können mich für den Rest des Tages völlig aus der Bahn werfen. Keines der zahlreichen Bücher, die ich zum Thema Selbstvertrauen im Allgemeinen oder zu einzelnen Aspekten wie sozialer Kompetenz bisher gelesen habe, konnte mir einen Weg aufzeigen, mein Selbstvertrauen dauerhaft zu erhöhen.
Vor ein paar Monaten hat mir jedoch ein Buch die Augen geöffnet: “Self-Compassion” von Kristin Neff. Mein niedriges Selbstvertrauen ist nur ein Symptom, dessen Ursache darin liegt, wie ich mit mir selbst umgehe. Dass mein innerer Selbstkritiker ein richtiger Arsch ist, hat fatale Auswirkungen auf mein Selbstvertrauen. In der Vergangenheit hat die Psychologie vorgeschlagen, direkt an seinem Selbstvertrauen zu arbeiten, um den inneren Selbstkritiker zufrieden zu stellen. Dieser Weg ist mittlerweile sehr umstritten. Denn hohes Selbstvertrauen geht oft mit negativem Verhalten anderen gegenüber einher. Man fühlt sich besser, wenn man sich anderen überlegen fühlt. Man muss überdurchschnittlich sein, um sich gut zu fühlen. Dass nicht jeder überdurchschnittlich sein kann, liegt auf der Hand.
Kristin Neff schlägt einen anderen Weg vor, wie man mit seinem inneren Selbstkritiker fertig werden kann: Selbstmitgefühl. Dieses hat die gleichen Vorteile wie hohes Selbstvertrauen, hauptsächlich den Schutz vor harscher Selbstkritik. Dabei hat es aber den Vorteil, dass man sich für Selbstmitgefühl nicht über andere Menschen stellen muss. Man muss keine sozialen Vergleiche anstellen oder andere verurteilen, um sich gut zu fühlen.
Selbstmitgefühl besteht aus drei Komponenten: Selbstliebe, gemeinsame Menschlichkeit und Achtsamkeit. Bei der Selbstliebe nimmt man seinen inneren Selbstkritiker wahr und ersetzt seine harsche Mitteilung durch etwas freundliches. Man redet mit sich selbst, wie man mit einem guten Freund reden würde. Gemeinsame Menschlichkeit bedeutet, dass man wahrnimmt, dass man mit seinem Problem nicht allein ist. Die Gefühle und Emotionen sind menschlich, jeder Mensch in der gleichen Situation würde sich genauso fühlen. Es gibt also keinen Grund, sich selbst dafür zu verurteilen. Die dritte Komponente ist Achtsamkeit. Das bedeutet, dass man ausgeglichen auf negative Gefühle und Emotionen reagiert und nichts unterdrückt oder überbewertet.
Seit ich das Buch gelesen habe, versuche ich nicht mehr aktiv, mein Selbstvertrauen zu erhöhen. Stattdessen versuche ich, mich zu akzeptieren wie ich bin. Das führt dazu, dass ich mich nicht mehr selbst verurteile und dass ich mir nicht die ganze Zeit vorstelle, dass mich alle anderen verurteilen. Das klappt noch nicht immer, der Erfolg unterliegt nach wie vor tagesformabhängigen Schwankungen. Ich spüre aber schon, dass mich Kritik oder andere Meinungen nicht mehr so stark und so lange aus der Bahn werfen wie vorher. Ich hoffe, dieser Trend setzt sich in Zukunft weiter fort.
In der Vergangenheit kam es öfter vor, dass ich mich über mehrere Tage schlecht gefühlt habe und schlechte Laune hatte. Das hatte immer damit zu tun, dass ich mit mir selbst unzufrieden war, mich selbst verurteilt und beschimpft habe und so schnell nicht wieder aus dem Tief herausgekommen bin. Außerdem war ich immer der Meinung, dass andere Menschen genauso über mich denken wie ich selbst über mich denke. Seit ich das Buch gelesen habe, habe ich eine solche Episode nicht mehr gehabt. Während des Lesens und direkt danach war mir noch nicht klar, welchen Einfluss das Buch auf mich haben würde, und zwar auch jetzt noch Monate nachdem ich das Buch beendet habe.
Es hat auch einen Anteil daran, dass ich mich wieder dazu entschlossen habe, regelmäßig zu schreiben und dass mein innerer Kritiker mich nicht daran hindern kann, meine Artikel zu veröffentlichen. Das gilt insbesondere für die persönlicheren Artikel, in denen ich viel von mir preisgebe.
Leidest Du auch unter niedrigem Selbstvertrauen? Mich würde interessieren, wie Du damit umgehst und welche Strategien du verfolgst, um etwas dagegen zu unternehmen. Ich freue mich über Deine Antworten in den Kommentaren. Bitte teile den Artikel in Deinem Netzwerk, wenn er Dir gefallen hat. Du kannst mir außerdem auf Twitter folgen.
“self confidence.jpg” by Andreas Steinkogler is licensed under CC BY-NC-ND 2.0.