Ich kämpfe gerade mit dem Minimalismus. Es geht um meine Freizeitgestaltung. Im Moment leide ich wieder mal unter furchtbarem Freizeitstress. Die Erkenntnis, dass ich entspannter bin, je weniger ich mir vornehme, hatte ich schon lange. Entsprechend hatte ich meine Freizeit entschlackt: Meine regelmäßigen Läufe erledigte ich morgens als erstes nach dem Aufstehen und abends verbrachte ich meine Zeit mit lesen und schreiben.
Die Freizeit wird mit Aktivitäten vollgepackt
Ein altes Hobby, das ich aus meiner Freizeit eliminiert hatte, ist das Videospiele spielen, das ich früher leidenschaftlich gern gemacht habe. Es kommt allerdings auch heute noch alle paar Monate vor, dass ich Lust darauf bekomme. Dann kaufe ich mir ein Spiel, auf das ich richtig Lust habe und nehme mir vor, es durchzuspielen. Genau das ist vor ein paar Tagen passiert und ich habe mir das Spiel „The Outer Worlds“ gekauft. Bisher habe ich es ein paar mal kurz angespielt und es gefällt mir sehr.
Wieder ein paar Tage später habe ich durch den Minimalismus das Gitarre spielen wiederentdeckt. Die Gitarre lag die letzten Jahre in ihrem Koffer im Schrank und ist völlig in Vergessenheit geraten. Nach dem ersten Anspielen war aber sofort das Feuer wieder da. Ich übe seitdem wieder täglich ein bisschen und versuche, mir eine neue Spieltechnik draufzuschaffen.
Stress, den ich eigentlich loswerden wollte
Das klingt bisher alles gut, oder? Für mich ist das aber ein großes Problem, denn das sind zusammen genommen wieder eine Menge Tätigkeiten. Ich tue sie alle furchtbar gern, aber sie passen einfach nicht in mein Leben. Das führt dazu, dass ich für mich selbst und für meine Liebsten ungenießbar werde. Ich bin den ganzen Tag genervt und warte darauf, dass ich abends endlich diesen Tätigkeiten nachgehen kann und dann bin ich paralysiert, weil ich mich zwischen den vielen Optionen nicht entscheiden kann. Wenn ich mich für etwas entscheide, fällt etwas anderes hinten runter.
Genau dieser Freizeitstress war für mich der Grund, überhaupt mit dem Minimalismus anzufangen. Die Idee war, meine Handlungsoptionen soweit auszudünnen, dass ich nicht mehr in so viele Richtungen gezogen werde und folglich diese Art Stress nicht mehr empfinde. Ich bin zwar mittlerweile schon viel Kram losgeworden, aber im Prinzip waren das alles „low hanging fruits“: Es war alles Zeug, das herumlag und das ich eh nicht benutzt habe. Das ist sehr wertvoll im Bezug auf die eigene Einstellung als Konsument, aber den großen Einfluss auf mein Stresslevel hat das noch nicht gehabt.
Die Lösung ist klar, aber schwierig
Ich schreibe hier viel um den heißen Brei herum, aber in der Theorie weiß ich, was zu tun ist. Ich muss alle Tätigkeiten danach hinterfragen, was mir wirklich wichtig ist. Und dann alles andere eliminieren. Das ist unheimlich schwer, weil ich sie alle gern tue. Doch letztlich ist es so, dass mir von all den Tätigkeiten das Videospielen am wenigsten wichtig ist. Um also im Sinne des Minimalismus nicht weiter in diese Richtung gezogen werden zu können, müsste ich meine Spielkonsolen loswerden.
So, jetzt ist es raus. Ich bin allerdings mit Videospielen aufgewachsen und verbinde viele schöne Erinnerungen damit. Mit dem Gedanken, das unwiderruflich und endgültig aufzugeben, kann ich mich nicht anfreunden. Dabei ist es rational gesehen so klar: Ein gutes Spiel frisst viele Stunden Zeit. Ich will nicht wissen, wie viele Spiele ich mir mittlerweile gekauft habe, nur um sie ein paar mal kurz anzuspielen. Jedesmal kommt ziemlich schnell die Erkenntnis, dass die Freizeit beim Videospielen verdammt schnell vorübergeht und keine Zeit mehr für andere Dinge ist. Nach kurzer Zeit konkurriert der Wille, dass ich meine Freizeit lieber anders füllen möchte, mit dem Gedanken, dass ich viel Geld für ein Spiel ausgegeben habe und es auch spielen möchte. Obwohl ich das weiß und schon einige Male hinter mir habe, lasse ich mich in einer Begeisterung für ein Spiel immer wieder zu einem Kauf bewegen und blende dabei aus, dass ich eigentlich überhaupt keine Zeit dafür habe.
Ich mogel mich durch
Nach ein paar sehr stressigen Tagen waren die letzten Tage wieder entspannter. Schlüssel war, dass ich das eskalierende Commitment (auch Sunk Costs Fallacy genannt) überwunden habe. Nur weil ich ein Spiel gekauft habe, muss ich es jetzt nicht zwingend spielen. Klar war das aus dem Fenster geworfenes Geld. Aber ich habe die Hoffung, dass ich daraus für die Zukunft gelernt habe und es somit doch noch eine gute Investition war.
Ich weiß aber auch, dass ich mich damit nur halbherzig durchmogel. Die Lösung, die der Minimalismus anbietet, ist die richtige. Ich bringe sie im Moment nicht übers Herz, aber sie ist jetzt in meinem Bewusstsein. Falls ich mich durchringe, die Konsolen loszuwerden, werde ich nach einiger Zeit vermutlich dankbar sein.
Seitdem ich mich auf den Minimalismus commited habe, ist das die erste Situation, in der ich es nicht schaffe, ihn mit letzter Konsequenz durchzuziehen. Ich erwarte, dass ich auf meinem Weg noch viele Höhen und Tiefen durchschreiten werde und werde an dieser Stelle darüber berichten.
”Overwhelmed by Benh Lieu Song is licensed under CC BY-SA 2.0.